Nie wieder Krieg?

Das Foto schaute mich an – so der Titel der „Kolumnen“ der in Kiew geborenen Journalistin Katja Petrowskaja. Zu diesem Foto schreibt sie: „Ein alter Mann schaut in die Kamera. Er ist erschöpft und verzweifelt, als hätte er Monate in Verstecken verbracht. …

… Im ersten Moment denke ich, es sei  Berlin. Es ist aber Prag. Ich hatte nicht gewusst, dass Prag im August 1968 von den Truppen des Warschauer Pakts so stark beschossen worden war. Der Mann steht auf der Vinohradská-Straße, ich kenne die Straße, erkenne sie aber nicht wieder. Dieses Foto stammt von dem tschechischen  Fotografen Josef Koudelka, der zu einem der wichtigesten Chronisten dieser Tage geworden ist und der die Initialen von Josef K. trägt, der Hauptfigur in Kafkas »Prozess«. Der alte Mann schaut in die Kamera, als sehe er die junge Generation, die gerade erstickt, die verliert, die sich unterwirft.“
Berlin 1945, Prag 1968, Charkiw 2022. Heute sehen wir die Schreckensbilder aus dem Ukraine-Krieg. Dazwischen hielten zahllose kriegerische Auseinandersetzungen die Welt und vor allem die betroffenen Menschen in Atem. Nie wieder Krieg? Es  scheint, als lernte die Menschheit nicht dazu, im Gegenteil: Wie bestialisch alle Kriege verlaufen, können wir gerade heute tagtäglich beobachten. Dabei ist der Vergleich mit der Tierwelt keineswegs angebracht, denn Menschen sind unübertroffen, was das Ausmaß ihrer Grausamkeit gegenüber ihren menschlichen Opfern anbetrifft …

Katja Petrowskaja: Das Foto schaute mich an. Kolumnen. Suhrkamp Verlag 2022; Josef Koudelka, „Prag beim Einmarsch von Truppen des Warschauer Pakts“ (Ausschnitt), 1968, © Josef Koudelka/Magnum Photos/Agentur Focus; Felipe Dana,  „Unzählige Gebäude in Charkiw wurden durch russischen Beschuss im Ukraine-Krieg schwer beschädigt“ (Ausschnitt), 2022, © Felipe Dana/AP/dpa

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